Abstract von Hans-Peter Meister
Das institutionelle Potential von Branchendiskursen - am Beispiel der Chemieindustrie
V18 Hans-Peter Meister und Jochen Tscheulin,
IFOK
Berliner Ring 89, 64625 BensheimSeit der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahre 1992 hat sich die Diskussion in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft um das Leitbild des Sustainable Development deutlich intensiviert. Nach wie vor bestehen unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie eine nachhaltige Entwicklung angestoßen und unterstützt werden soll. Auch gehen die Meinungen über Aufgaben und Verantwortung von Wirtschaft, Politik und anderen Gruppen der Gesellschaft für eine nachhaltigere Entwicklung auseinander.
Angesichts der großen Differenzen und Meinungsunterschiede stellte sich auch für den Verband der Chemischen Industrie und die Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik die Frage, welche Erwartungen und Anforderungen die Gesellschaft an die Branche im Zusammenhang mit dem Leitbild einer zukunftsorientierten Entwicklung stellt. Vor diesem Hintergrund haben VCI und IG Chemie-Papier-Keramik im März 1996 das Projekt "Bausteine für ein zukunftsfähiges Deutschland" begonnen.
Entsprechend dem offenen Prozesscharakter der Nachhaltigkeit wurden die Fragestellungen des Projekts im Rahmen eines diskursiven Prozesses bearbeitet. An den insgesamt 21 Veranstaltungen im Rahmen des Projekts nahmen rund 240 Experten aus mehr als 130 Institutionen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft teil. Im Projekt behandelte Themen- und Problemfelder wurden im Diskurs ausgewählt und in Workshops vertieft.
IFOK evaluierte die einzelnen Veranstaltungen, ermöglichte eine Rückbindung an aktuelle wissenschaftliche Diskussionen und erarbeitete auf dieser Grundlage Vorschläge, die den Teilnehmern der Workshops wiederum zur Diskussion und zur Bewertung rückgespiegelt wurden. Auf diese Weise erhielten alle Beteiligten mehrfach Gelegenheit zur Diskussion, zur Bewertung von Handlungsvorschlägen und - über schriftliche Dokumentationen zu Verlauf und Ergebnissen der Veranstaltungen - die Möglichkeit zur Rückmeldung.
Als Ergebnis des Projekts, zu dem Experten und Funktionsträger aus allen gesellschaftlichen Bereichen im Verlauf des Projektes gelangten, konnte ein Integrationsmodell der Nachhaltigkeit, im Sinne eines konsensfähigen Rahmens zur gesellschaftlichen und politischen Suche nach einer zukunftsfähigen Entwicklung, entwickelt werden.
Darüber hinaus ist dieses Projekt als Anstoß und Beitrag für einen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess zu verstehen, der weitere Diskurse und weitreichende Kooperationen zwischen den unterschiedlichsten Akteuren initiiert.
Mit dem Projekt "Bausteine für ein zukunftsfähiges Deutschland" haben die Auftraggeber einen gesellschaftspolitischen Prozess angestoßen, der bei den Beteiligten auf große Zustimmung stieß und zugleich einen hohen Erwartungsdruck im Hinblick auf eine Umsetzung der Ergebnisse des Projekts geweckt hat.
In der Phase der Umsetzung und Nutzung wurden
· in Modell- und Pilotprojekten mit den Ergebnissen gearbeitet, experimentiert und Erfahrungen gesammelt
· Vorschläge ausgewählt und die Vorgehensweise festgelegt
· Kooperationspartner und Verbündete gefunden sowie Allianzen geschmiedet.
Aus der Wahl der Schwerpunktthemen wie auch dem gesamten Verlauf des Diskurs-Projektes wird der hohe Stellenwert deutlich, den die Teilnehmer den gesellschaftlichen Kommunikations- und Entscheidungsverfahren einräumten. Dies durchzog das gesamte Projekt als roter Faden:
Nachhaltigkeit stellt sich aus heutiger Sicht in erster Linie als eine kommunikative Aufgabe dar. Es wird nicht von einzelnen Akteuren erwartet, dass sie sich einseitig zu besonderen Leistungen verpflichten, sondern dass sie miteinander kommunizieren und - da die komplexen Probleme individuell nicht lösbar sind - miteinander kooperieren.
Im Mittelpunkt des Projekts standen daher immer wieder Kommunikation, Partizipation und Kooperation in den verschiedensten thematischen Zusammenhängen - und die Frage, welche institutionellen Veränderungen für die erforderlichen gesellschaftlichen Lern- und Suchprozesse eingeleitet werden sollten.
Damit ist festzuhalten, dass es gerade die gesellschaftlichen Themen wie Umweltschutz, Bildung, Beschäftigung oder, und hier in besonderem Maße, ein Themenfeld wie Sustainable Development sind, bei denen unterschiedlichste Interessen aufeinanderprallen. Aus diesem Grund ist es in Branchendiskursen wichtig, das Wissen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu bündeln und sachgerecht in die Praxis umzusetzen. Durch das Verbinden wissenschaftlicher Forschung mit praktischer Machbarkeit überwinden sie Konflikte und dienen dem Aufbau gemeinsamer, konstruktiver Strategien für ein zukunftsfähiges Handeln.
zuletzt geändert am 15.02.2000