Abstract von Arnim von Gleich
Anforderungen an Innovationssysteme auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stoffwirtschaft
V3/V13 Arnim von Gleich
Fachhochschule Hamburg FB Maschinenbau und Produktion Lehrgebiet Technikbewertung,
Berliner Tor 21, 20099 HamburgNachhaltigkeit ist eine dreidimensionale Zielperspektive. Es geht um soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit. Die Dreidimensionalität der Zielperspektive ist Chance und Falle zugleich. Einerseits bietet sich - wie evtl. nie zuvor - die Chance für einen gesellschaftlichen Konsens, für ressortübergreifende Politik und disziplinenübergreifende Wissenschaft. Andererseits steht für uns auch die Komplexitätsfalle weit offen. Wenn wir immer alles zugleich bedenken und erreichen wollen, stehen wir schnell in der Gefahr, gar keine nächsten Schritte mehr zu wagen. Schließlich gab und gibt es auch gute Gründe für eine Konzentration auf bestimmte Aspekte, für eine in Ressorts organisierte Politik und eine in Disziplinen organisierte Wissenschaft.
Es gibt allerdings auch einige nächste Schritte, von denen alle drei Bereiche gleichermaßen profitieren' können. Zu diesen Win-Win-Win-Strategien gehören insbesondere die Verbesserung der Ressourceneffizenz und - bisher viel zu wenig beachtet - die Verbesserung der Innovationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft.
Innovation ist nicht alles, was neu' ist. Mit Innovation wird eine wirtschaftlich erfolgreiche Neuerung bezeichnet, und dabei kann es sich sowohl um technische, als auch um organisatorische oder institutionelle Innovationen handeln. Wir unterscheiden kleinschrittige Verbesserungsinnovationen auf einem bestimmten Technologie- und Produktentwicklungspfad und sogenannte Basisinnovationen, die einen neuen Pfad eröffnen. Und wir unterscheiden idealtypisch Innovationen, bei denen der Hauptimpuls aus der Wissenschaft bzw. aus den F&E-Abteilungen der Unternehmen kommt (technology push) und Innovationen, bei denen der Hauptimpuls aus den (antizipierten) gesellschaftlichen Bedarfs- und Problemlagen kommt (demand pull). In den globalisierten, gesättigten, fragmentierten und dynamischen Märkten der Gegenwart scheinen die erstgenannten an Bedeutung ab und letztgenannten rasant an Bedeutung zuzunehmen. Vor nicht allzu langer Zeit betonte man auch noch sehr die Rolle genialer Erfinder und tatkräftiger Unternehmer bei der Entstehung von Innovationen, heute betrachtet man eher das mehr oder weniger gute Zusammenspiel vieler Akteure in Innovationssystemen'. Über die Analyse dieses Zusammenspiels, über Notwendigkeiten und Maßnahmen zu seiner Verbesserung wird zu sprechen sein. Eine Verständigung wird auf diesem Gebiet vermutlich vergleichsweise einfach gelingen.
Innovationen im Rahmen von Nachhaltigkeitsstrategien
Viel schwieriger wird es, wenn es um das Voranbringen und die Bewertung konkreter anstehender Innovationen geht, also um die Frage, ob diese oder jene Innovation eine Innovation in Richtung Nachhaltigkeit darstellt oder nicht? Jeder Effizienzgewinn kann schließlich durch Mengeneffekte negativ überkompensiert werden (rebound effect). Und wie gehen wir mit Zielkonflikten um? Wie gehen wir damit um, wenn z. B. die angestrebte Verringerung der Stoff- und Energieströme durch eine Steigerung des - womöglich nur potentiellen' - technischen Risikos erkauft wird?
Wir müssen das große Langfristziel der Nachhaltigkeit in konkrete nächste Schritte umsetzen, und wir können dies in eher offensiven oder eher defensiven Strategien versuchen. In der offensiven Variante geht es darum, Leitbilder eines Nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens in verschiedenen einzelnen Bereichen und auf verschiedenen Handlungsebenen zu konkretisieren, also über nachhaltiges Bauen und Wohnen, über nachhaltige Mobilität, über eine nachhaltige Universität, eine nachhaltige Stadt bzw. Region Oldenburg oder auch über eine nachhaltige Stoffwirtschaft nachzudenken und mit den verschiedenen Akteuren am runden Tisch' eine Einigung über die nächsten Schritte in diese Richtung zu erzielen. In der defensiven Variante geht man vom Gedanken der Tragekapazitäten und damit von denjenigen Bereichen aus, die derzeit eindeutig nicht nachhaltig sind. Als Grundvoraussetzung für Nachhaltigkeit kann in dieser Strategievariante formuliert werden: Wir müssen einen Weg in die Zukunft finden, der zumindest die Tragekapazitäten der großen Subsysteme, der sozialen Systeme, der ökonomischen Systeme und der ökologischen Systeme nicht überbeansprucht.
In beiden Strategien spielen Innovationen sowie Wissenschaft und Technik vermutlich eine große Rolle aber auch eine ziemlich unterschiedliche. Auf dem defensiven Weg übernehmen Wissenschaft und Politik die Führung'. Die Wissenschaft versucht, Tragekapazitäten zu erkennen und Leitplanken zu formulieren, so wie es uns die Leitwissenschaft' der Nachhaltigkeit, die Klimaforschung derzeit vormacht. Die Wissenschaft formuliert sozusagen das Notwendige' bzw. die Zumutungen' der Zukunftsfähigkeit an die Gesellschaft. Der Politik kommt dann nur' noch die Aufgabe zu, diese zu instrumentieren und umzusetzen (z. B. in Wärmeschutzverordnungen oder Ökosteuern). Innovationen werden und wurden durch solche Art Druck' in der Vergangenheit durchaus auch angeregt, allerdings eher kleinschrittige Verbesserungsinnovationen auf einem ohnehin schon eingeschlagenen Technologiepfad (hierher gehören solche aktuellen Strategien wie Schadstoffsubstitution, prozess- und produktintegrierter Umweltschutz, Verbesserung der Ressourceneffizienz).
Weitreichende Basisinnovationen entstehen allerdings eher in der freieren kreativen Atmosphäre der offensiven Strategie, beim Versuch, im langfristigen Entwurf das Leitbild nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens für den je eigenen Bereich zu konkretisieren. Damit geht es um Fragen nach der Innovationsrichtung:
Was sind die Bedürfnisse und Bedarfe einer zukunftsfähigen' und nachhaltigen' Gesellschaft, wo liegen die Märkte der Zukunft? Welche Stoffe, welche Produkte, welche Dienstleistungen kennzeichnen ein nachhaltiges Bauen und Wohnen, eine nachhaltige Mobilität? Was können wir heute davon schon wissen? Welche Weichen können und müssen dafür schon jetzt gestellt werden?
Und je weniger wir diese Fragen beantworten können, um so mehr stoßen wir wieder auf die Fragen nach der Innovationsfähigkeit: Wie sehen Innovationssysteme aus, in denen auf solche Fragen eine Antwort gefunden werden kann? Wie müssen sie aufgebaut sein, um optimales Zusammenspiel zu gewährleisten? Welches sind in diesen Innovationssystemen besonders wichtige Akteure und Institutionen? Welche Rolle spielen in Zukunft die (welche?) Naturwissenschaften, die Hochschulen, die F&E-Abteilungen? Wie sollten und könnten die wissenschaftlichen Disziplinen sich entwickeln, wenn sie einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit leisten wollen? Wie muss eine (Chemie)Ausbildung gestaltet werden, die dafür die zukunftsfähigen Qualifikationen bereitstellt?
zuletzt geändert am 15.02.2000