GDCh - Gesellschaft Deutscher Chemiker


GDCh-Positionspapier zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker hat auf Initiative ihrer Fachgruppe Umweltchemie und Ökotoxikologie folgendes Positionspapier zur Fortschreibung des Kapitels 19 der Agenda 21 erarbeitet, welches den Regierungen der am Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg teilnehmenden Staaten vorgelegt werden soll.

Wir haben in diesem Papier bewußt einen mutigen Blick in die Zukunft geworfen. Die formulierten Ziele sind sehr ehrgeizig und daher nicht als konkrete Handlungsanweisungen, sondern als richtungsweisende Orientierungspunkte für die weitere Entwicklung nachhaltiger Konzepte in der Chemie zu verstehen. Die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Randbedingungen müssen bei der weiteren Entwicklung nachhaltigen Handelns berücksichtigt werden. Sie erfordern einen pragmatischen und ausgewogenen Umgang mit dem Politikfeld "Nachhaltige Entwicklung"; überzogenen, unrealistischen Forderungen muß Einhalt geboten werden, dennoch dürfen die übergeordneten Zielstellungen, so wie sie in unserer Stellungnahme zum Ausdruck kommen, nicht aus den Augen verloren werden.

1. Die in der Agenda 21, Kapitel 19 formulierten sechs Programmbereiche müssen vollständig umgesetzt werden. Die Agenda 21 hatte die Prüfung von mehreren hundert HPV-Chemikalien (Chemikalien, die mit mehr als 1000 Tonnen pro Jahr in mindestens einem OECD-Mitgliedsland produziert werden) bis zum Jahr 2000 vorgeschlagen. Bisher sind von den über 5200 HPVs der OECD Liste ca. 270 abschließend beurteilt, weitere ca. 510 befinden sich mit unterschiedlichem Bearbeitungsstatus auf der Bearbeitungsliste. Die Prüfung von insgesamt etwa 2800 HPVs soll durch das "HPV chemical testing program", unter Einschluss der vom Weltchemieverband ILCA übernommenen 1000 Stoffe, bis zum Jahr 2004 durchgeführt werden. Die restlichen HPVs der OECD Liste sollen in einem überschaubaren Zeitraum geprüft werden. Die Gesellschaft Deutscher Chemiker ist durch die Mitarbeit ihres Beratergremiums für Altstoffe (BUA) als "Peer Review Group" und "Focal Point" unmittelbar am OECD/ICCA-Programm beteiligt. Die politische und finanzielle Unterstützung der BUA-Arbeit durch Industrie und Staatsseite zur Sicherstellung der Qualität der Ergebnisse ist daher auch zukünftig sicherzustellen.

2. Nachhaltige chemische Prozesse und Produkte sind zielgerichtet zu entwickeln. Eine absolute Quantifizierbarkeit von Nachhaltigkeit kann aufgrund der komplexen Interdependenz der ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimensionen dieses Begriffes nicht geleistet werden. Dennoch sind zur vergleichenden Bewertung von chemischen Prozessen und Produkten bezüglich ihres Beitrags zu einer nachhaltigen Entwicklung

wissenschaftlich fundierte Methoden und Kriterien notwendig. Dazu ist ein System mit Bausteinen der wichtigsten Prozessketten für eine Bewertung von Synthesen bzw. Prozessen zu entwickeln, das Ressourcenbedarf und Umweltbelastung mit Hilfe von Kennzahlen auch quantitativ abzudecken erlaubt und auf einem konsistenten Basisdatensatz beruht. Die Bewertungsansätze der Ökobilanzierung, der Ökoeffizienz-Analyse sowie sozio-politische Bewertungsdimensionen sind weiterzuentwickeln. Bei der Substitution von Prozessen und Produkten sind geeignete vergleichende Bewertungen durchzuführen. Diese müssen frühzeitig im Verlauf der Entwicklung, möglichst bereits im Labor, eine tragfähige Entscheidung zwischen den Prozess- und Produktalternativen ermöglichen.

3. Die ressourcenschonende Produktion von Basischemikalien - Chemikalien, die weltweit mit mehr als 1 Million t/a hergestellt werden - ist aufgrund der großen produzierten Mengen und der darauf aufbauenden Produktlinien für eine nachhaltige Entwicklung von besonderer Bedeutung. Zahlreiche Prozesse zur Produktion dieser Basischemikalien erzeugen eine große Menge von z.T. nicht mehr verwertbaren Nebenprodukten. Dies macht die Entwicklung neuer Prozesse für diese Basischemikalien oder gegebenenfalls ihre Substitution durch neue Basischemikalien, die ressourcenschonend und umweltverträglich produziert werden können, erforderlich. Dazu sind insbesondere auch neue Prozesse auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen von Bedeutung. Die meisten Produkte, die aus nachwachsenden Rohstoffen erhalten werden können, sind zwar gegenwärtig im Vergleich zu den Produkten der Petrochemie noch nicht konkurrenzfähig, was sich aber bei zunehmender Verknappung und damit Verteuerung des Erdöls ändern wird. Die Gesellschaft Deutscher Chemiker appelliert an die Regierungen, die Förderung der notwendigen, grundlegenden Untersuchungen zu intensivieren bzw. Randbedingungen zu schaffen, um entsprechende privatwirtschaftliche Forschungsaktivitäten verstärkt zu stimulieren, damit nachhaltigere Substitutionsprozesse und -produkte rechtzeitig zur Verfügung stehen.

4. Die Produkte der chemischen Industrie zeichnen sich durch eine große chemische Vielfalt aus. Die Agenda 21 geht von etwa 100.000 chemischen Substanzen aus, die weltweit von der chemischen Industrie in den Handel gebracht werden, wobei auf etwa 1.500 Stoffe 95% der gesamten Weltproduktion entfallen. (Agenda 21, Kap. 19.11). Die Gesellschaft Deutscher Chemiker setzt sich nachdrücklich dafür ein, dass toxische Chemikalien, von denen wissenschaftlich nachgewiesen eine nicht vertretbare Gefahr für Umwelt und Gesundheit ausgeht, durch weniger schädliche Substanzen zu ersetzen oder durch geänderte Verfahren entbehrlich zu machen und die Rückgewinnung und Verwertung chemischer Grundstoffe gemäß der Nachhaltigkeitskriterien zu optimieren. Die Herausforderung für die Chemie besteht darin, die vielfältigen chemischen Produkte und Wirkstoffe so zu gestalten, dass sie durch möglichst nachhaltige Prozesse erzeugt werden, ihre Aufgabe bzw. die gewünschte Wirkung bei minimalem Gefährdungspotential erfüllen, die Umwelt nicht beeinträchtigen und biologisch abbaubar sind.

Die Produkte der chemischen Industrie müssen auch umweltverträglich weiterverarbeitet werden können. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Reduktion der Emission von flüchtigen organischen Chemikalien (VOCs), die zur Bildung des troposphärischen Ozons beitragen.

5. Wo immer dies möglich ist, müssen nicht-nachhaltige Prozesse und Produkte substituiert werden. Die Regierungen werden aufgefordert, alle Regelungen, die die Substitution nicht-nachhaltiger durch nachhaltigere Prozesse und Produkte behindern, möglichst rasch aufzuheben. Anreize zur Förderung der Substitution sind einzuführen und in den kommenden 10 Jahren nach Johannesburg umzusetzen.

6. Zur Lösung dieser Probleme muss die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung zum Beitrag der Chemie zu einer nachhaltigen Entwicklung stark intensiviert und gefördert werden. Dieser Aspekt gilt allen einer nachhaltigen Entwicklung dienlichen Wissenschaften. Angesichts der enormen Anforderungen an Grundlagen-und anwendungsorientierte Forschung sowie Entwicklung werden die Regierungen daher aufgefordert, die öffentlichen Mittel zur Förderung von Projekten zur Umsetzung der Grundsätze von Rio und der Agenda 21 in erheblichem Umfang zu erhöhen.

7. Die Konzepte zum Beitrag der Chemie zu einer nachhaltigen Entwicklung sind auch in die Lehre an Schulen und Hochschulen einzubringen.


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letzte Änderung: 29.07.2002 / ANW